Almut Heise, Traum I, 1967, Bleistift, 350 x 290 mm, Privatbesitz, © Almut Heise

ALMUT HEISE

21.09.2024 – 05.01.2025

Zweifellos zählt das Werk von Almut Heise (* Celle 1944) zu den konsequenten Positionen der Gegenwartskunst. Unbeirrt hat die Malerin über Jahrzehnte hinweg mit stoischer Gelassenheit und nonchalanter Unnachgiebigkeit ein einzigartiges malerisches und graphisches Œuvre geschaffen, das seinesgleichen sucht. Ihre veristischen Motive scheinen aus der Zeit gefallen, bestechen aber zugleich durch die eindrückliche Präsenz der dargestellten Interieurs und Menschen in einer überzeitlich anmutenden Gegenwart, die den alltäglichen Lebensraum der Protagonisten vergessen macht. Heises spröde Sujets werfen mehr Fragen auf, als dass sie Antworten geben. Fraglos hat die Künstlerin damit das Format zu einem „artistʼs artist“ – eine Wertschätzung der besonderen Art.

Over the past six decades, Almut Heise (b. Celle, 1944) has developed one of the most consistent bodies of work in the field of contemporary art. Pursuing her artistic objectives with confidence and calm persistence, she has created a painterly and graphic œuvre that is second to none. Heise’s veristic motifs appear to belong to a different era, while the striking presence of the depicted interiors and human subjects – suspended in a seemingly endless present – is so captivating that the protagonists’ everyday surroundings fade into the background. Heise’s reserved subjects raise more questions than they answer, and she herself can justifiably be described as an ‘artist’s artist’ – the prestigious status of someone whose work gains the respect of her peers.

Bezeichnend für Heise ist, dass sie wie nur wenige andere ihrer Generation schon zu Beginn ihrer künstlerischen Tätigkeit der heroischen Geste des deutschen Informel, das zu diesem Zeitpunkt längst zur eklektischen Formel erstarrt ist, mit hanseatischer Nüchternheit entsagt. Stattdessen hält sie mit einer altmeisterlichen Feinmalerei unerschrocken souverän dagegen – eine lautlose Rebellion in Zeiten lärmender Stilrichtungen, bei der man gewillt sein muss, sie ganz ohne Lobby auszuhalten. Selbst als sie 1970 nach ihrem Studium an der Hamburger Hochschule für bildende Künste, wo zu diesem Zeitpunkt führende Maler der britischen Pop Art lehren, angezogen von dieser schrillen Stilrichtung für ein Jahr ins Swinging London zieht, klärt der Aufenthalt für sie einzig ihre eigene künstlerische Position, zu der sie längst gefunden hat.

Weniger bekannt ist, dass parallel zu ihrer Malerei seit Mitte der 1960er Jahre ein konzentriertes zeichnerisches Werk entsteht, mit dem sie das konventionelle Verständnis der Zeichenkunst erweitert. Klassische Aspekte der Zeichnung wie die Linie oder der pastose Farbauftrag, die seit der italienischen Renaissance im Widerspruch zueinander stehen und sich geradezu auszuschließen scheinen, interessieren sie nicht mehr. Ihre Farbstift-Zeichnungen wirken so, als wären sie mit dem Zeichenmittel flächendeckend aufgebaut. Auch die klassische Handschrift der Linie verliert bei ihr an Bedeutung, vielmehr erscheint die Komposition ohne jede zeichnerische Geste aus der Fläche heraus modelliert zu sein. Damit steht der konventionellen Linienkunst ein neues Konzept von Zeichnung gegenüber.

Characteristic of Heise’s approach is the fact that from the very beginning of her career, she – like few other artists of her generation – chose to renounce the heroic gesture of German art informel, which had long since ossified into an eclectic formula. With Hanseatic straightforwardness, she confidently countered this with the ‘fine’ manner of painting that is typically associated with the Old Masters. It was a quiet rebellion in a period dominated by much louder artistic styles, when a strong will was required in order to forge one’s own path. Heise studied at the Hochschule für bildende Künste in Hamburg at a time when a number of leading British Pop art painters were among the teachers, and after completing her studies, she moved to Swinging London for a year in 1970. Although she had been attracted by the bold vibrance of Pop art, Heise’s stay in London merely served to confirm the individual position she had long since found for herself.

It is less well known that since the mid-1960s, parallel to her painterly output, Almut Heise has created a concentrated graphic œuvre that expands the conventional concept of drawing. Classical aspects of fine art drawing such as linear definition or the impasto application of colour, which have seemed contradictory or even mutually exclusive since the Italian Renaissance, no longer interest her. Heise’s coloured pencil drawings appear to have been built up with the drawing medium over the picture plane. The traditional notion of a characteristic line is also less significant in her work; instead, her compositions seem to be modelled from the surface without any graphic gesture. In this way, conventional line drawing is constrasted with a new concept of drawing.

Almut Heise, Selbstbildnis, 1991, Bleistift, 550 x 420 mm, Privatbesitz, © Almut Heise

Der konzise über Jahrzehnte kontinuierlich fortgeführte zeichnerische Werkblock, der auf Interieurs und Porträts konzentriert bleibt, gibt einen Eindruck von der Präzision ihres zeichnerischen Denkens. Sind die Zeichnungen anfänglich noch vorbereitende Studien zu den Gemälden, so werden sie im Werklauf mehr und mehr zur autonomen Meisterzeichnung.
Aus heutiger Sicht ist es in der Rückschau beeindruckend zu sehen, wie sich der Ausdruck in den Porträts über die Jahrzehnte hinweg subtil verändert. Feinsinnig erfasst die Zeichnerin Almut Heise in den Gesichtern ihrer Modelle die sich abzeichnenden veränderten Zeitläufe und spiegelt sie in den Porträtzeichnungen, welche entrückt von Zeit und Raum zu sein scheinen. Eben diese genaue Beobachtungsgabe macht die Relevanz ihres zeichnerischen Werkes aus. Heise reiht sich damit in eine lange Tradition der zeichnerischen Introspektion des menschlichen Antlitzes ein und schafft, ohne stilistische Anleihen zu nehmen, eine eigene Sicht auf den Menschen und sein Porträt.

Charakteristisch für ihr unverkennbares Œuvre ist ein leichthändiges Crossover von klassischen Sujets der Kunstgeschichte und Themen der Alltagskultur, die ihre Bildwelten und Porträts durchziehen und damit entgegen ihrer Stille eine gewisse Unruhe ausstrahlen, die den Betrachter umtreibt.

Es ist uns eine Freude, dass die Malerin Almut Heise das Erscheinen ihres zweibändigen Catalogue raisonné mit einer Ausstellung ihrer Zeichnungen in einem klassischen Kupferstichkabinett feiert.

Almut Heise, Zwei Galeristen, 2003, Ölfarbe, 1400 x 950 mm, Privatbesitz, © Almut Heise

Heise’s concise graphic œuvre – a body of works that has grown continuously over the past decades and has remained focussed throughout on interiors and portraits – conveys the precision of her graphic thinking. Whereas in the early stages of her career, the drawings were produced as preparatory studies for her paintings, over time they increasingly became autonomous master drawings.

Looking back over Heise’s output to date, it is impressive to note the subtle changes in expression in her portraits over the course of time. In the faces of her models, Heise sensitively captures emerging eras and changing moods, reflecting these in portrait drawings that nevertheless seem to exist outside space and time. These keen powers of observation are what lend her graphic œuvre its contemporary relevance. Heise thus joins a long tradition of graphic introspection around the human face and, without borrowing stylistic elements or devices, forms her own view of people and how to portray them.

Heise’s highly distinctive œuvre is characterised by a light-handed crossover of classical subjects from art history and motifs from everyday culture which permeate her pictorial worlds and portraits and, countering their stillness, radiate a certain restlessness that disconcerts the viewer.