Yoshihiro Suda
Garten Eden
03.07. – 21.09.2025

Japanische Holzschnitte des 18. und 19. Jahrhunderts haben die europäische Moderne stärker geprägt als andere Kunstwerke Asiens. Der Begriff „Ukiyo-e“ beschreibt jene „Bilder der fließenden Welt“, die aufwändig und auflagenstark in Japan produziert wurden und in die ganze Welt gelangten. Von den französischen Impressionisten bis zu den Künstlern des Blauen Reiters bezogen westliche Künstler immer neue Inspiration aus japanischen Holzschnitten. Bis heute bezaubern uns diese Werke in ihrer farblichen, formalen und technischen Virtuosität. Die Staatliche Graphische Sammlung München erhielt 2020/21 eine Schenkung von rund 250 Blättern einiger der großen Meister dieses Mediums, darunter Hokusai (1760–1849) und Hiroshige (1797–1858). Diese Schenkung ergänzt die europäischen Bestände des Museums ingeniös.
Für die Ausstellung Yoshihiro Suda – Garten Eden haben wir den renommierten japanischen Bildhauer und Installationskünstler Yoshihiro Suda (*1969) zu einem Ausstellungsprojekt eingeladen, seinen Blick auf unsere Sammlungen japanischer und europäischer Kunst mit uns zu teilen.
Japanese woodcuts of the 18th and 19th centuries influenced European modernism more than any other artworks from Asia. The term “ukiyo-e” associated with them designates “images of the floating world”, which were produced skillfully and in large numbers in Japan and laterreached other parts of the world. From the French Impressionists to the members of the Blue Rider group, Western artists found ever new inspiration in Japanese woodcuts. To this day, these works enchant us with their tonal, formal, and technical virtuosity. In 2020/21 the Staatliche Graphische Sammlung München received a donation of approximately 250 prints, among them works by some of the great masters of the Japanese woodcut like Hokusai (1760–1849) and Hiroshige (1797–1858), which ingeniously complement our holdings in European art.
For the exhibition Yoshihiro Suda – Garten Eden we invited Japanese sculptor Yoshihiro Suda (*1969) to share with us his view on our collections of Japanese and European art.


Mit dem Garten Eden verbindet sich bis heute die Vorstellung von einem paradiesischen Sehnsuchtsort, wo der Mensch mit der unberührten und urwüchsigen Natur im Einklang lebt. In den bildenden Künsten der Moderne gewinnt diese Utopie Gestalt in einer Vielfalt von Naturphantasien. Als Gegenentwürfe zur Lebenswelt sind sie eine Reaktion auf eine Flut von gesellschaftlichen Brüchen und Umwälzungen, die den modernen Menschen im 20. und 21. Jahrhundert vor neue existentielle und emotionale Herausforderungen stellen. Es sind die Künstlerinnen und Künstler, die mit phantastischen Landschaften darauf reagieren und eine Projektionsfläche für unterschiedlichste Stimmungslagen und Sehnsüchte bieten. Eine Auswahl von „Seelenlandschaften“ aus dem Bestand der Klassischen Moderne demonstriert dieses vielfältige Spektrum. Yoshihiro Suda stellt sie seinen minimalistischen Natur-Capriccios gegenüber, die er eigens dafür geschaffen hat. Sie laden zu einem vergleichenden Sehen ein, über die Darstellung von Natur einmal anders nachzudenken.
Der Reiz von Yoshihiro Sudas Werken im öffentlichen Raum liegt darin, dass man sie leicht übersehen kann. Sie weisen uns in einer Zeit der Schnelllebigkeit auf das Gebot der Achtsamkeit hin. Ein von Insektenfraß durchlöchertes, vertrocknetes Blatt, ein aus einer Fuge sprießendes Wildkraut oder eine einzelne zarte Blüte können uns in Staunen versetzen und an die Bedeutung und Wertigkeit der Dinge erinnern.
Schon zu Beginn seiner Karriere sollte Suda mit seiner mobilen Installation „Ginza Weed Theory“ aus dem Jahr 1993 Kunstgeschichte schreiben. Dafür mietete er sich für sechs Tage mitten in Tokyo im glamourösen Geschäftsviertel Ginza mit seinen exorbitanten Bodenrichtpreisen eine winzige Parkplatzfläche und installierte darauf eine schmale mobile architektonische Hülle, die von innen mit Blattgold ausgeschlagen war. Darin stellte er einzelne von ihm naturalistisch geschnitzte Unkräuter aus, wie sie sonst auch in den umliegenden Straßen wachsen. Wohlüberlegt setzte er mit seiner in sich selbst widersprüchlichen Installation, die profane Wildkräuter durch einen auratischen Raum nobilitierte, geistigen Freiraum ins Verhältnis zu wirtschaftlich lukrativ ausgelasteten Ballungszentren. Losgelöst von der konkreten Situation bleibt bis heute die Frage offen, welcher Raum der Kunst als Ausdruck geistigen Schaffens, das sich pekuniär nicht bemessen lässt, zur Verfügung steht.
To this day, the Garden of Eden (Garten Eden) evokes the idea of a paradisiacal place where we all long to go and where man lives in harmony with untouched and primeval nature. In modernist art this utopia took on shape in a variety of phantasies of nature. Conceived as alternatives to everyday life they constituted a reaction to a flood of social changes and upheavals. It was artists who countered these disruptions with fanciful landscapes and offered a projection screen for a variety of dispositions and longings. Selected from our collection of modernist art a group of landscapes mirroring such inner states reflects the wide spectrum covered. Yoshihiro Suda juxtaposes these masterful works with his minimalist nature capriccios that he made especially for this show. His sculptures invite us to look, compare and to think in new ways about the depiction of nature.
The attraction of Yoshihiro Suda’s works in public spaces lies in the fact that they are easily overlooked. His works invite us to be mindful in an age of an ever accelerating pace of life. A dry leaf damaged by insects, a wild plant growing from a wall joint, or a single delicate flower may spark admiration in us and remind us of the meaning and value of things. In 1993, at the very beginning of his career, Suda wrote art history with his mobile installation “Ginza Weed Theory”. For this he rented a tiny parking lot for six days in the middle of Tokyo’s glamorous business district Ginza where rents are sky-high. Here he installed a small mobile architectural structure that was lined on the inside with leaf gold. Inside he exhibited a number of naturalistically carved weeds very similar to those that grew along surrounding streets. In a highly reflected gesture, Suda confronted profane weeds, ennobled by an auratic architecture and exuding artistic freedom, with economy-driven lucratively exploitable and overpopulated city districts. Beyond this specific installation, the question remains: What are the spaces available for art as an expression of creativity that is not to be measured in monetary terms?


Suda lotet in seinen minimalistischen Rauminstallationen sensibel die Gestimmtheit des jeweiligen Ortes aus. Seine kaum sichtbaren Skulpturen füllen ihn sozusagen aus, ohne je raumgreifend zu werden. Vielmehr erscheinen sie wie flüchtige Naturimpressionen, die aus dem Nichts kommend jenseits ihres natürlichen Habitats auf den ersten Blick im Museumsraum verloren wirken. Bei genauerer Betrachtung ist es umso eindrucksvoller zu erleben, wie es dem Künstler gelingt, mit ihrer unaufdringlichen Präsenz den genius loci – Geist des Ortes – einzufangen und ihn zu befragen. Der Ort wird zum Teil der künstlerischen Intervention. Sein konzeptuelles Werk rührt genau mit dieser Form der Intervention jenseits der Anschauung einen existentiellen Lebensnerven bei uns an – unser Sein mit und in der Natur. Das erklärt, warum seine skulpturalen Preziosen trotz ihrer Zartheit so beeindruckend wirken. Sie dringen in ihrer Natürlichkeit wie selbstverständlich in unsere hochtechnisierte Lebenswelt ein. Mit ihrer bloßen Anwesenheit werfen sie Fragen auf und konfrontieren uns mit unserem im Gedächtnis abgelegten emotionalen Wissensschatz erlebter Naturerfahrungen. Unerwartet rückt dieses Wissen ins Zentrum unserer Aufmerksamkeit.
Mit Bedacht schlägt Yoshihiro Suda in dieser überraschenden Form der Präsentation eine Brücke zwischen den verschiedenen künstlerisch ästhetischen Welten und erneuert die Idee des Kulturtransfers für die Gegenwart. Aus dieser künstlerisch-kuratorischen Kooperation entsteht eine überaus anregende und ungewöhnliche, ja eine utopische Schau, die uns das Staunen und das Hinsehen neu lehrt.
With his minimalist spatial installations Suda gently explores the atmosphere of the respective location. His barely visible sculptures populate them, so to speak, without ever taking over. Rather, they seem like fleeting impressions of nature that, as though coming from nowhere, seem lost outside their natural habitat and inside the museum galleries. On closer consideration it is all the more impressive how the artist succeeds in capturing with their unobtrusive presence the genius loci of a space and to question it. The space itself becomes part of the artist’s intervention. With his conceptual work, Suda touches an existential nerve in us – our being with and in nature. This explains why his exquisite sculptures make an impact even though they are so delicate. In their naturalness they seem to invade as a matter of course our highly technical world. Their mere presence poses questions and confronts us with the emotional knowledge of lived experiences in nature stored in our memory. Unexpectedly this consciousness shifts to the center of our attention.
Very considerately Yoshihiro Suda bridges with this surprising kind of presentation art from different aesthetic worlds and renews for our present the idea of cultural transfer. From this artist-curator collaboration originates a very stimulating and remarkable, a truly utopian show, which reminds us what it is to look and wonder.