fluky flora ǀ Olga Golos
Rotundenprojekt 2022 ǀ Part IV
29.11.2022 – 08.01.2023
Es scheint so, als hätten südliche Frühlingswinde ein Blütenmeer in die Pinakothek der Moderne hineingewirbelt. Inmitten des Münchner Winters mutet die zartfarbene Fülle in der Rotunde wie ein Versprechen der Natur an, dass der Frühling zurückkehren wird.
In ihrer luftigen Bodenskulptur fluky flora hinterfragt die junge Münchner Bildhauerin Olga Golos (*1987, Krasnojarsk, Russland) die Suche nach dem Glück – dauerhaftes Glück ist eine uralte, bis heute ungestillte Sehnsucht der Menschen.
Sosehr wir uns auch bemühen, lässt das Glück sich gleich einem Blütenwirbel weder festhalten noch kontrollieren. Es bleibt flüchtig. Von alters her wurden Glücksbringer und Rituale erdacht, die das persönliche Schicksal positiv beeinflussen sollten. Ausgewählt wurden oft Objekte der Natur mit zufälligen Abweichungen von der Norm, die aufgrund ihrer Besonderheit dazu berufen schienen, als Talisman die Glückssuche befördern zu können. Ein sinnbildliches Beispiel hierfür geben die vielgesuchten vierblättrigen Kleeblätter ab, die in der westlichen Kultur als Glücksbringer gelten und heutzutage aus den modernen technoiden Messenger-Diensten und sozialen Netzwerken als glücksverheißendes Emoji nicht mehr wegzudenken sind.
In Russland und einigen osteuropäischen Ländern dagegen gehören Fliederblüten mit fünf statt vier Blütenblättern zu den Glücksbringern. In der Natur bleibt im Frühling kaum jemand von den stark duftenden Blütentrauben, die von dunklem Lila bis hin zu lichtem Weiß reichen, unbeeindruckt. Durch Mutation kommt es jenseits des biologischen Bauplans zufällig dazu, dass einzelne Blüten fünf Blütenblätter ausbilden. In der russischen Volkskultur wird angenommen, dass man den ganzen Tag Glück erfährt, wenn man einer dieser seltenen Blüten habhaft wird und sie verspeist.
Bemerkenswert an diesen Brauchtümern ist, dass gerade die Abweichung vom Regelfall als etwas Glücksverheißendes verstanden und nicht mit schlechtem Karma belegt wird.
Eben diese positive Bewertung eines von der Norm abweichenden Phänomens veranlasste Olga Golos dazu, einen volkstümlichen Brauch ihrer ehemaligen Heimat in eine überwältigende Skulptur zu übersetzen und uns in einen Glücksrausch zu versetzen. Erst mit etwas Abstand und jenseits unserer spontanen Begeisterung für die spielerische Glückslotterie auf der Suche nach einer fünfblättrigen Fliederblüte könnte man sich fragen, wie anfällig wir für Entscheidungen jenseits der Vernunft sind, wenn sie nur glücksverheißend oder erfolgsversprechend sind. Im Gegensatz zum extrem seltenen Vorkommen in der Natur finden sich in der Installation neben den üblichen Fliederblüten auffallend viele solcher fünfblütigen Glücksblüten, was die Entscheidungsfindung – geben wir uns einem irrationalen, mit Aberglauben behafteten Spiel hin oder hinterfragen wir unser instinktives Verhalten? – nicht leichter macht.
Im zurückliegenden Jahr haben weltumfassende Ereignisse Altvertrautes und sicher Geglaubtes existenziell infrage gestellt. Ohne es vorhersehen zu können, war auch das Rotundenprojekt 2022 | Part IV fluky flora davon betroffen. Die dem Werk inhärente künstlerisch-spielerische Kritik an der menschlichen Irrationalität erscheint vor dem Hintergrund der politischen Situation in Osteuropa so unerwartet aktuell. Jenseits von Glückbringern bleibt die Hoffnung, dass die Vernunft wie ein luftiges Blütenmeer an Terrain gewinnen wird.
Wir wünschen Ihnen gesegnete Festtage und ein friedvolles neues Jahr.
Ihr Michael Hering
Direktor
Zum Rotundenprojekt fluky flora erscheint eine Edition. Weitere Informationen erhalten Sie unter flukyflora.olgagolos.com oder unter info@olgagolos.com
It appears as though Southern spring winds had carried a sea of flowers into the Pinakothek der Moderne. In the middle of Munich winter, this light pink bounty in our rotunda is like nature’s promise that spring will return.
In her airy floor sculpture fluky flora, young Munich sculptor Olga Golos (*1987 Krasnoyarsk, Russia) questions our search for happiness – everlasting happiness being an ancient, never-stilled desire of humanity.
As much as we try, happiness – much like this whirl of blossoms – can neither be preserved nor controlled. It remains elusive. Since ancient times, we have invented talismans and rituals hoping they would improve our fate. Serving this purpose were often things in nature, which deviated from the norm, and which, on account of their singularity, seemed to be destined to advance our search for happiness. One example is the much sought-after four-leaf clover that in Western culture is considered a token of good luck and that, in the shape of auspicious emojis, has become an indispensable element of our modern tech-devoted messenger apps and social media.
In Russia and some Eastern European countries, however, it is lilac blossoms with five instead of four petals that are considered harbingers of good luck. In springtime, nature hardly leaves anyone cold with the strong scents of these dense blossoms, whose colors range from dark lilac to bright white. Through mutation, deviations from the biological blueprint occur making some blossoms generate five petals. According to Russian folklore, good luck will follow those all day who find such a blossom and eat it.
Remarkably, according to this custom it is precisely the deviation from the rule that is considered a sign of good luck rather than a bad omen. Olga Golos was moved by this positive assessment of a phenomenon departing from the norm, to transform the folkloristic custom from her former home-country into an overwhelming sculpture that grants us a rush of happiness. Only from a distance and following our spontaneous enthusiasm for her playful lottery of happiness which made us search for a five-leaf lilac blossom, do we start to wonder: How susceptible are we, having discarded reason, to making decisions as long as they promise happiness or success? In contrast to their extreme scarcity in nature, this installation offers many five-leaf lucky blossoms making our decision – should we give in to this irrational and superstitious game or question our instinctive behavior? – not an easy one.
In the past year, globally pertinent occurrences have existentially challenged what we knew and believed. Without having anticipated this, our Rotunda Project 2022 | Part IV fluky flora was also affected by this development. The playful artistic critique of human irrationality inherent in this work seems uncannily topical in light of the current political situation in Eastern Europe. Beyond lucky charms we are left with the hope that reason, like this sea of blossoms, will regain ground.
Wishing you happy holidays and a peaceful new year,
Yours Michael Hering
Director
An artist edition is available of fluky flora. For more information see flukyflora.olgagolos.com or info@olgagolos.com